Von der Pleeser Kirmes durchs Brandenburger Tor – TuS-Radtour 2024 Tag 5: 138 km, 325 hm (Halberstadt – Plaue a.d. Havel)

Da die pedelierten Höhenmeter vom Vortag noch etwas in den Knochen steckten, kam den Pleeser RadsportlerInnen das Etappenprofil des fünften Abschnitts ihrer Tour nach Berlin gerade recht: Auf dem Programm stand die Fahrt von Halberstadt nach Plaue an der Havel, wobei die Strecke erst quer durch die Magdeburger Börde und danach immer entlang oder parallel zur Elbe und zum Elbe-Havel-Kanal verlaufen sollte, sodass, abgesehen von einigen Straßen- und Flussbrücken, keine Steigungen zu erwarten waren.

Während die Tagesdestination in Brandenburg lag, führte der Großteil der heutigen Strecke durch Sachsen-Anhalt. Eines steht fest: Es dauert nicht lange, bis man dem ganz besonderen Charme des ehemaligen Ostblocks verfallen ist, der auch heute noch aus jedem Schlagloch, aus jeder längst verlassenen LPG-Ruine und vor allem aus diesen charakterstarken und unverdorbenen Menschen sprüht, denen man in den ansonsten so gottverlassenen Orten wie Kroppenstedt oder Schleibnitz noch begegnen darf. Hier führt der einstmals Werktätige den Dobermann noch stramm an der Leine, hier präsentiert die zonale Madame ihr Halstattoo mit Würde, hier tönt man sich die Haare selbst (Trendfarbe lila), hier sagt man nicht ‚Neee‘, wenn die Quarkkäulchen und der Blaue Würger auf den Tisch kommen… Sport frei allerseits!

Kurz hinter der Halberstädter Stadtgrenze begann für den TuS-Tross zivilisatorisches Brachland, weshalb man den Fuß nicht wieder vom Pedal nahm, bis man rund 60 Kilometer später am Magdeburger Dom angekommen war. Zuvor hatte man verschiedene, insgesamt eher freudlosen Nester wie (Kloster) Gröningen, Westeregeln, Etgersleben, Klein Germersleben, Bottmersdorf und Wanzleben passiert; in Hohendodeleben wurde man dann zu allem Überfluss auch noch von einem Regenschauer überrascht. Wäre man in Niederndodeleben, Domersleben oder Klein Rodensleben etwa trocken geblieben? Man weiß es nicht. Was man aber weiß: Wenn die Feuerwehr stirbt, stirbt das Dorf.

In Magdeburg erhielt die Oberpleiser Radbrigade Unterstützung von einem neuen Mitfahrer aus der Heimat, und man stärkte sich im Innenhof des Hundertwasserhauses mit Kaffee, Kuchen und Suppe. Ausreichend erholt, arbeitete man sich alsdann durch die Industrie- und Hafengebiete im Norden Magdeburgs bis man am Schiffshebewerk Rothensee bzw. an der Kanalbrücke Hohenwarthe angekommen war, wo der Mittellandkanal die Elbe überquert. Ein anerkennendes Raunen ging durch das FahrerInnenfeld, als man an diesem imposanten Architekturdenkmal des deutschen Verkehrswasserbaus vorbeizog. Der nächste Zwischenstopp erfolgte an einer schangeligen Kaufhalle in der Stadt Burg – einer weiteren ostelbischen Perle. Dort lauschte man der publikumswirksamen Expertise eines „Locals“, der zwar zahnlos, aber umso energiegeladener darüber räsonierte, wie man den hiesigen Discounter-Kartoffelsalat mit ein paar einfachen Handgriffen und Geheimzutaten (Gürkchen!) verfeinern und auf ein neues kulinarisches Level hiefen könne.

Ließ uns die Fachsimpelei jenes Bonvivants und Gourmets im Eingangsbereich des örtlichen Nettos das Wasser im Mund auch noch so sehr zusammenlaufen, so hieß es bald schon: Weiterfahrt! Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Vom Geiste „Täve“ Schurs beseelt, der einst bekanntlich genau hier, im Herzen des Jerichower Landes, in die Pedale trat, stieß man anschließend, kurz hinter Burg, auf die Berliner Chaussee (B1), der man kilometerweit und schnurgerade Richtung Nordosten folgte. So gelangte man über Reesen, Hohenseeden und Parchen nach Genthin (ein letzter Kaffestopp) und von dort nach Plaue an der Havel, wobei zwischenzeitlich die Landesgrenze von Brandenburg überquert worden war. Der Belgische Kreisel nach Oberpleiser Art funktionierte wieder wie ein Uhrwerk! Gewußt wie – spart Energie!

Zielpunkt war das geschichtsträchtige Schloss Plaue, wo die Radtruppe im restaurierten Nordflügel residierte. Dort, wo schon so mancher preußische General und Markgraf genächtigt hatte, wo dann mit der Roten Armee ein Erholungsheim und ein Militärlazarett eingezogen war, und wo später das Außenministerium der DDR eine Dolmetscherschule unterhielt, wollte man sich auf den triumphalen Finaltag in Berlin vorbereiten. Für dieses Vorhaben kam die lauschige Schloßschänke direkt am Havelufer wie gerufen. Man servierte den RadlerInnen frisch gezapftes Bier und brandenburgische Tapas (Blechkuchen, Bockwurst, Knacker, Kartoffelsalat, Kartoffeln mit Quark, Erbsensuppe und Soljanka), und für die Unterhaltung sorgten die geistreichen und scheinbar nie versiegenden Geschichten eines gleichermaßen patenten wie gastfreundlichen Havelfischers mit familiären Kontakten ins Rheinland.

Noch als die brandenburgische Sonne längst untergegangen war, lauschte man gespannt den inspirierenden Legenden jenes Plauer „Originals“, der schon vor Kap Horn und Rio de Janeiro angeheuert und der bereits Margot Honeckers Benz repariert haben will. Sowohl vor als auch nach der Wende habe er dann die technische Infrastruktur von Rostock bis kurz hinter Wusterwitz quasi höchstpersönlich am Laufen gehalten, und derzeit manage er nebenbei als CEO die Rekonstruktion einer Plauer Brücke über die Havel, über jenes Gewässer also, auf dem er es früher um ein Haar zur DDR-Ruder-Koryphäe geschafft hätte. Ein wahrer Tausendsassa also oder ostdeutsches Seemannsgarn? Besuchen Sie Plaue und finden Sie es selbt raus!

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By NilsM / on Jun 14, 2024


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