Tag 2: 120 km – 700 Hm (Aachen-Löwen, B)

 

In den ersten drei Tagen schuf Gott, wie man bekanntlich in der Bibel lernen kann, Himmel und Erde, Wasser und Land, Pflanzen, Hügel, Täler sowie all den anderen Kram – doch was die wenigsten wissen, schon am vierten Tag schuf er glücklicherweise auch die hydraulische Shimano Scheibenbremse, die leicht zu bedienende Kettenschaltung und den Carbon-Rahmen. Diese Zweirad-Innovationen waren den Oberpleiser Drahtesel-Connaisseuren auf der zweiten Etappe ihrer Fahrt nach Paris mehr als dienlich, führte der Weg doch von Aachen nach Löwen und damit weitgehend durch die abwechslungsreichen und sanften Hügellandschaften der niederländischen und belgischen Provinzen Limburg.

Insbesondere die Streckenführung der ersten Tageshälfte war durchaus herausfordernd. Nicht ohne Grund wird in der Region, die zwischen der deutsch-niederländischen Grenze und Maastricht liegt, alljährlich das berühmte Amstel Gold Race ausgetragen. Bei diesem Frühjahrsklassiker müssen eine Vielzahl von „Heuveln“ überwunden werden, wobei einige dieser zwar wohlklingenden, trotzdem durchaus knackigen Anstiege (Cauberg, Gulperberg, Bemelerberg, Keutenberg, Dielandepunt, Kruisberg) nun auch vom TuS-Peloton in Angriff genommen oder zumindest gestreift wurden. Nachdem man von Aachen über Vaals bis Gulpen pedaliert war, bog man dort in nordwestlicher Richtung nach Ingber und Scheulder ab, zwei Perlen des Heuvellandes. Die Route führte danach südlich von Schin op Geul und Valkenburg bis nach Bemelen, von wo aus es nur noch ein lässiges Ausrollen nach Maastricht sein sollte. Dort gelangte man über die St. Servatius-Brücke schließlich ins Stadtzentrum, wo man in einer gut frequentierten Bäckerei eine wohlverdiente Pause einlegte und bei „Koffie verkeerd“ und Limburger Kuchen- und Brotspezialitäten über die gleichermaßen anmutige wie risikofreudige Schuhwahl mancher Maastrichter Radfahrerinnen fachsimpelte.

Da es bis zum Etappenziel Löwen immerhin noch rund 80 Kilometer sein sollten, entschied sich die Radgruppe nach der Mittagspause für einen pragmatischen Kurs entlang der im Wesentlichen schnurgeraden, belgischen Nationalstraßen (N79, N3); gestoppt wurde lediglich in Tongeren (älteste Stadt Belgiens!) und Sint-Truiden (super, landestypische Fritten im Istanbul-Grill!). Ansonsten wurde anmutig-kraftvoll in die Pedale getreten und der Pleeser Kreisel rotierte wie im Bilderbuch, sodass es so manchem flämischen Zuschauer am Wegesrand die Tränen vor Begeisterung in die Augen trieb.

Nach rund acht Stunden im Sattel war die alte Universitätsstadt und berühmte Brauereimetropole Löwen (Leuven, Louvain) erreicht, wobei – das gebietet die Chronistenpflicht – auch das Gruppetto, das sich bereits früh am Tage gebildet hatte, noch ohne Mühe vor dem Überschreiten des Zeitlimits eintraf. Zwar hatte die Nachhut die Verfolgung des Pelotons mit teils halsbrecherischem Tempo und unter Missachtung der niederländischen und belgischen StVO aufgenommen – eine sogenannte Verkettung unglücklicher „Zwischenfälle“ verhinderte aber, dass der Rückstand aufgeholt werden konnte. Gewürdigt wurde die wilde Verfolgungsjagd, bei der Mensch und Material nicht geschont wurden, aber immerhin mit der Verleihung der goldenen Warnweste von Flämisch-Brabant.

Die genauen Hintergründe des nervenaufreibenden Renngeschehens jenes Tages wurden schließlich beim Abendessen in einem hervorragenden syrisch-libanesischen Restaurant gemeinsam aufgearbeitet, wobei die Kombination aus dem süßen Wein der Levante und dem süffig-wässrigen Bier aus Löwen (Stella Artois) wohl erheblich dazu beitrug, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zusehends verschwammen. Aus Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos…

About the Author

By KaiS / Subscriber, editor on Juli 02, 2025


Schrift anpassen



Farbauswahl